Quellen

Modell Juvenile beschäftigt sich mit Konstruktionen von Kindheits- und Krankheitsbildern verschiedener Jahrhunderte. Ihren Ausgangspunkt fand die Arbeit im Pietismus, inspiriert durch das Waisenkinderkrankenhaus August Hermann Franckes in Halle, in dessen historischen Räumen Modell Juvenile zum ersten mal gezeigt wurde. Für die Pietisten waren Kinder unfertige Erwachsene. Krankheit war, eine von Gott gesandte Aufforderung über die eigene Seelenverfassung nachzudenken. Eine Medizin gegen diese Krankheit musste also Leib und Seele umfassen, woraus Francke die für seine Zeit sehr fortschrittliche Idee entwickelte, Mediziner und Theologen gemeinsam an die Betten der kleinen Patienten zu schicken. Da Beten und Singen allein die Seelen der Kinder nicht erreichen konnte, erzählte man zusätzlich Exempelgeschichten – Geschichten in denen Kinder erkrankten, dann den Weg zu Gott fanden, schließlich gesund wurden oder aber den seligen Tod starben. Natürlich war der Tod dramaturgisch stärker als die Heilung, und so kam es, dass in dieser Zeit erstmals so etwas wie Todessehnsucht bei den Kleinsten konstatiert wurde. Inspiriert von den historischen Quellen dieser Zeit stellt Modell Juvenile den Versuch dar diese mit anderen zu vernetzen. Zum einen mit Quellen aus der Kunstgeschichte (idealisierten Darstellungen von Kindheit und Spiel), zum anderen mit persönlicher und kollektiver Geschichte, insbesondere mit den 70er Jahren, als einer Zeit, in der die Beschäftigung mit der eigenen Erzählung einen hohen Stellenwert hatte; zuletzt die animierten Tabletten in Modell Juvenile (3D Nachbauten der gebräuchlichsten Psychopharmaka), die auf die heutige Zeit rekurrieren. Darüber hinaus interessiert uns seit langem die Darstellung des Menschen in Computerspielen- und Programmen. Die Standard-Kinderfigur Modell Juvenile entstammt einem 3-D Modeling Programm namens Poser, das bspw. von Architekten und Graphik-Designern für die Darstellung von menschlichen Figuren in einer Szenerie verwendet wird – was das Modell Juvenile gewissermaßen zu einer zeitgenössischen Kinderdarstellung macht. 

Bild und Erzählform 

Die 3D Projektion zeigt Franckes Waisenhaus als Raumschiff auf dem Weg in eine ungewisse Zukunft. In seinem Inneren kreisen Kameras durch die verschiedenen Decks: sie folgen lautlos dahin gleitenden Tabletten auf ihrem Weg zu den kindlichen Bewohnern des Schiffs, sie kontrollieren das Holodeck – einen Garten mit heilenden Kräutern – und, seit langem nicht mehr benutzt, das Sprechzimmer Sigmund Freuds. Als literarische Form betrachtet ist Modell Juvenile eine Novelle und keine Erzählung. Man fragt nicht “Was wird passieren?”, alles dreht sich vielmehr um die Frage “Was ist hier passiert?” Die Novelle hat eine fundamentale Beziehung zum Geheimnis, sie entwickelt sich aus dem Element “Es ist geschehen”. “Es kann sogar sein, dass nichts geschehen ist””, wie Deleuze und Guattari in den Tausend Plateaus schreiben und weiter: “aber gerade dieses Nichts lässt uns sagen: Was kann nur passiert sein, dass ich vergesse, wo ich meinen Schlüssel hingetan habe, dass ich nicht mehr weiß, ob ich diesen Brief abgeschickt habe, etc.? Welche kleine Arterie in meinem Gehirn könnte geplatzt sein? Was ist dieses Nichts, durch das etwas passiert?” 

Navigation / Interface / Echtzeit

Die Navigation in Modell Juvenile ist eine Kombination aus der Eigendynamik des Systems mit den Einflussmöglichkeiten des Betrachters – ein Phänomen das vom Träumen her bekannt ist. In der Mitte des Raumes, vor der Projektion, steht ein Tisch, darauf ein Kasten, dessen Äußeres an ein Bestrahlungsgerät oder eine Bocca della Vérita erinnert. Aus seinem Einschubschlitz fällt Licht. Steckt der Betrachter seine Hand hinein, um das Innere des Gerätes zu erforschen, entdeckt er stattdessen verschiedene Orte in der projizierten Simulation – die Kameraposition lässt sich lenken. Erst in der Interaktion wird der Echtzeitcharakter der Animation sichtbar. Kaum ist die Hand wieder heraus, geht die Kamera wieder ihren eigenen Weg. 

Installation 

Mit dem Mobiliar wird die Atmosphäre eines kleinen intimen Behandlungsraums geschaffen. Die Besucher können sich auf den Bänkchen niederlassen oder auch ausstrecken, um die Projektion zu betrachten. Das Interface ist so positioniert, dass die Betrachter zum Interagieren ihren Platz verlassen müssen – um sich danach wieder zu setzen und zu schauen.

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