E-Mail-Interview, Ars Viva, Kunst und Wissenschaft
H.U.O: Spielt das Medium des Gesprächs für Euch eine wichtige Rolle?
H/A: Es ist unsere Arbeitsmethode. Bevor wir überhaupt etwas machen, unterhalten wir uns ziemlich lange darüber – wie Vilém Flusser das am Beispiel des Vampyrotheutis Infernalis beschrieben hat – einer sagt etwas, und dann wird der Gedanke in das Gehirn des anderen gepflanzt. Ein Phänomen ist dabei, daß sogar bei einer gewissen Gegenwehr – wenn einem die Idee des anderen nicht schmeckt – die Idee trotzdem wirkt und am nächsten Tag, in einer Art von Verwandlung, dann in einem selbst aufsteigt und unter Umständen sogar für die eigene gehalten wird. Dieser Abgleich geht eigentlich jeder Arbeit voran, eine Idee zu verwerfen oder solange daran herumzumeißeln, bis man eine Form gefunden hat, von der man sagen kann: „Das ist jetzt ein Startpunkt, das verfolgen wir“. In tibetanischen Klöstern gibt es auch so eine Art von Rhetorikschule. Die Novizen beginnen schon sehr früh damit, im Alter von 5-6 Jahren. Sie halten beim Reden kleine Steinbrocken in der Hand, und immer wenn sie ein Argument zu Ende geführt haben, schleudern sie einen davon an die Wand. Es geht einerseits um Wiederholung und Variation des Gelernten, in diesem Fall die Glaubensgrundsätze des Klosters, andererseits darum, auf spielerische Weise gegnerische Positionen einzunehmen – was ja auch ein wichtiges Moment ist beim Gespräch, daß man sich selbst nicht zu ernst nehmen darf.
H.U.O: Wo liegen die Anfänge Eurer transdisziplinären Arbeitsweise?
H/A: Ich bin mir gar nicht sicher, ob wir transdisziplinär arbeiten, aber nehmen wir mal an, das wäre so – ich weiß nicht, ob das eine Antwort auf die Frage ist, aber mir fällt dazu ein, daß ich schon während meiner Studienzeit permanent das Gefühl hatte, zwschen den Stühlen zu sitzen, und das hat uns eigentlich immer verfolgt, nicht „richtig“ Kunst zu machen, aber auch nicht richtig etwas anderes, und da gibt es viele Stühle – der „Stuhl“ zwischen Kunst und Design, der zwischen Journalismus und Kunst, zwischen Soziologie und Kunst, usw. Was unsere gemeinsame Arbeit betrifft, könnte man sagen, der Anfang war die Recherche über den Kunstpreis Ökologie, in der es darum ging, inwieweit Wirtschaftsunternehmen durch ihre Art des Sponsorings Einfluß auf die Kunst nehmen. Wir haben uns mit Marketingstrategien beschäftigt, um mit den Leuten, die wir interviewen wollten, kommunizieren zu können. Was bedeutet Sponsoring? Was ist eigentlich Image-Transfer? Recherchen, die jeder Journalist anstellen muß, wenn er zu einem Thema arbeitet. Er muß ja die Bedingungen der Disziplin, mit der er sich befaßt, kennen. Als Methode betrachtet geht es darum, von der Kunst wegzugehen, um einen bestimmten Aspekt der künstlerischen Arbeit von außen durch eine andere Disziplin hindurch zu betrachten, eine fremde Disziplin quasi als Katalysator. Vielleicht trifft aber doch eher der Begriff des Interdisziplinären; man fühlt sich weder in dem Feld, in dem man sich tummelt beheimatet, noch in dem anderen, nach dem man die Finger ausstreckt. Wir bewegen uns in einem Zwischenbereich, indem wir eher vorsichtig beobachten als agieren.
H.U.O: Wie beurteilt Ihr den Begriff der dritten Kultur, den John Brockman in seinem 1996 erschienen Buch The Third Culture. Beyond the Scientific Revolution geprägt hat?
Er postuliert darin die Entstehung eines „third space“, eines dritten Raumes, in dem sich die Dichotomie zwischen Kunst und Wissenschaft auflöst.
H/A: Die Hoffnungen auf diesen dritten Raum werden ja gerade über die „Medienkunst“ wieder wach. Das hat einfach mit den Maschinen zu tun, mit der Tatsache, daß in weiten Teilen der Wissenschaft auf Maschinen geforscht wird. Simulationen, Modelle, Auswertungen – der Computer ist das wichtigste Werkzeug – wie in fast allen wissenschaftlichen Bereichen, so auch in der Kunst mit Medien. Der Begriff Werkzeug deutet allerdings schon an, daß nur wenige Wissenschaftler und Künstler Informatiker oder Konstrukteure dieser Apparate sind. Die meisten sind User; User, deren Denken durch dieses Instrument geprägt wird, das dennoch mehr als ein Werkzeug ist. Der Computer ist eine evozierende Maschine, „fast ein Wesen“, wie die Gesprächspartner in Sherry Turkles Interview-Aufzeichnungen sagen, und diese Maschine wird nun von der gesamten Gesellschaft genutzt. Alles könnte nun näher zusammenrücken – Wissenschaft, Kunst und Gesellschaft – die große Utopie. Aber das ist vielleicht nicht die Art, wie man sich das idealerweise vorgestellt hat.
H.U.O: Aus den Dialogen zwischen James Lee Byars und John Brockman entstand Byars‘ World Question Centre. Byars bat Künstler/innen, Architekt/innen, Wissenschaftler/ innen, EINE Frage zu stellen. Ich schlage vor, daß wir in diesem Email-Gespräch nicht nur Fragen beantworten, sondern auch Fragen stellen.
H/A: Sitzen Künstler und Wissenschaftler jetzt in einem Boot? Ja, diese Frage würde ich jetzt gerne mal dem Publikum stellen, ob das überhaupt vorstellbar ist. Oder ist das überhaupt erwünscht, hat nicht jeder ein klares Bild davon, was Wissenschaft und Kunst ist? Oder vielleicht doch ein sehr unklares, aber innerlich fest gefügtes? Was man ja auch fragen könnte, ist: Wie wichtig ist es für das alltägliche Leben der Leute, daß etwas wissenschaftlich verifizierbar ist? Oder gibt es Scharlatane in Ihrer Familie? Glauben Sie an so etwas wie Unwissenschaft? Viele klagen ja offiziell, daß unsere Welt so kalt und wissenschaftlich geworden ist, aber auf der anderen Seite ist es eine Ersatzreligion, die stärker dasteht als die vorangegangene. Die Kirche kann nur verlieren. Das Blut-Wunder von Neapel soll erforscht werden – wahrscheinlich ein billiger Taschenspielertrick. Das Grabtuch von Turin hat die Kirche untersuchen lassen, da hat man Dreidimensionalitäten gefunden, deren Entstehung sich nicht erklären läßt. Da wußte sie, daß der Trick besser ist als der Blutwundertrick. Welche Frage haben wir noch? Ja, die Frage nach den Para-Wissenschaften. Was halten sie von Privatwissenschaftlern? Von Privatkünstlern? Von Privatphilosophen? Eine grundskeptische Frage ist natürlich: Haben Kunst und Wissenschaft überhaupt etwas miteinander zu tun? Das ist die Kardinalfrage, die am Anfang steht, sind das nicht grundsätzlich andere Arbeitsmethoden, sollte man die Sachen nicht doch lieber fein säuberlich voneinander trennen? Das sind ja die Fragen, die im Interview schon anklingen, die man aber auch dem Publikum stellen muß. Wird die Kunst dadurch künstlerischer oder interessanter, und wird die Wissenschaft dadurch menschlicher? Und abschließend, wird die Kunst dadurch gefährlicher?
H.U.O: Ihr spracht von Zwischen-den-Stühlen-sitzen; Peter Cook, Mitbegründer von Archigram, hat vor kurzem in einem Gespräch bemerkt, daß das „zwischen den Stühlen Sitzen“ die Gefahr impliziert, daß man zwischen die Stühle fällt, „the danger of falling between the stools“. Was haltet Ihr von dieser Bemerkung?
H/A: Jenseits dieser Metapher geht es doch um Kompetenzbereiche, an deren Grenzen sich zu bewegen immer gefährlich und unbequem ist. Dort, wo sich die Ränder verschiedener Bereiche berühren oder überschneiden, einen neuen Bereich zu behaupten, der trägt, geht meistens über die Definitionskraft einzelner hinaus. Die einzelnen Bereiche sind ja nach wie vor restriktiv, bewegen sich in ihren Zeitorbitalen, wie Christoph Keller sagte, und sind insgesamt sehr viel akademischer als das, was tatsächlich ge- macht wird. Zuviel „Außerkünstlerisches“ kann dich ins Nirgendwo katapultieren. Das ist in der Wissenschaft nicht anders; sagen wir mal zu viel Spekulation oder gar Esoterik, sich mit den falschen Leuten einzulassen ist der akademischen Laufbahn auch nicht zuträglich. Jeder Bereich hat seinen Kodex, den es nicht zu verletzen gilt. Wir haben neulich eine Buchrezension über Timothy Learys NeuroLogic gelesen: „100 Seiten NeuroLogic und nicht mal der leiseste Versuch einer wissenschaftlichen Untermauerung …“, so geht’s natürlich nicht.
H.U.O: Welche Rolle spielt der Kunstkontext bei Euren Bewegungen in den „Zwischenbereichen“?
H/A: Eine wichtige. Wir verstehen die Frage so, daß wir eigentlich über den Rahmen sprechen, den Rahmen der Aufmerksamkeit und nicht über die Interessen oder die Beschäftigung mit einem Thema. Der Kunstkontext ist der Rahmen, in dem wir uns bewegen und in dem unsere Bewegungen von der Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Multikontextualität ohne den Bonus des Exotischen hieße ja, in allen Kontexten gleichermaßen kompetent und gefragt zu sein. Eine schöne Vorstellung, aber in der Regel ist das die Ausnahme.
Interview Hans Ulrich Obrist mit Hörner/Antlfinger