Lacking Colour – „Animal Agency“ und diskursive Leere in der Bildgeschichte der Tierschutzbewegung
Das Proklamat einer „Animal Agency“, einer Wirkmächtigkeit des tierischen Gegenübers, hat spätestens mit dem „Animal Turn“2 Einzug in akademische Debatten gehalten, sie direkt beeinflusst und verändert. Zudem hat es im Kern die Frage aufgeworfen, inwieweit die Omnipräsenz des Tieres im Alltagsleben menschliches Handeln prägte. Insbesondere weist ihre bildliche Darstellung auf die historische Zentralität des Themas „Tier“ im menschlichen Denken und seiner materiellen Kreativität hin.3 Auch die Tierschutzbewegungen des 19. und 20. Jahrhunderts machten von dem Motiv Tier Gebrauch.
Wie schwierig es ist, dem Tier dabei im sprichwörtlichen Sinne Farbe zu geben und wie wenig die Tierschutzbewegung es geschafft hat, dem Ziel, Tieren in Bildern und ihrer Verwendung Agency zuzuweisen, näher zu kommen, soll in diesem Aufsatz diskutiert werden. Wie die „authentische Erfahrung“4 des Tierseins darstellbar ist, welches sich in einem Prozess des „Becoming Animal“5 ausdrückt, in der die Grenzen zwischen dem Menschen und dem Tier durch ständiges Überschreiten bis zur Unkenntlichkeit perforiert werden, ist Anliegen der künstlerischen Darstellung des Befreiertopos, die in den Installationen von Hörner/Antlfinger zu sehen sind. Dabei zeigen sie, dass das Bild vom Tier immer schon ein vom Menschen geformtes ist. Anhand ausgewählter bildlicher Darstellungen der Tierschutzbewegung soll sowohl ein historischer Abriss über die Nutzung von Illustrationen und Fotografien im Dienste der Bewegung geliefert, als auch eine Analyse hinsichtlich der Agency, der das Bildmaterial füllenden Protagonisten — menschlichen wie tierlichen —, angeboten werden.
Für die moderne Tierschutzbewegung6 stellte die Entwicklung der Fotografie eine Revolution dar, ermöglichte sie es doch, das Tier realistisch zu visualisieren. Insbesondere die Antitierversuchslobby des späten 19. Jahrhunderts machte von großflächigen Postern Gebrauch, auf denen auch Tiere abgebildet waren. Dabei muss das „auch“ hervorgehoben werden, denn der Mensch bestimmte durch seine eigene Abbildung als zentrales Motiv bis dahin weitgehend den Illustrationsrahmen der Bilder. Dominierend blieben trotz der technischen Entwicklungen aber grafische Darstellungen, die helfen sollten, das harmonische Miteinander von Mensch und Tier zu illustrieren, und sich der eigenen Humanität zu vergewissern.
Menschlichkeit begann also mit der Nachbildung der Machtverhältnisse zwischen Mensch und Tier, wobei der paternalistische Umgang mit dem „Anderen“ besondere Hervorhebung fand. Wenn Tiere als zentrale, sinntragende Motive abgebildet waren, so entweder als ästhetische Objekte, deren Schönheit es für den Menschen zu erhalten galt, als Exemplifikationen romantischer Naturvorstellungen oder als schicksalsergebene Subjekte, die aber wiederum der — je nach thematischer Aufladung streichelnden oder verletzenden — menschlichen Hand ausgeliefert waren und somit hierarchisch klar untergeordnet dargestellt wurden (vgl. Abb. 1).
Die erste Kategorie zeigte insbesondere Tiere, die mithilfe menschlicher Zucht „verbessert“ wurden oder deren Körper zum Jagen und Töten benötigt wurden und damit eine zentrale Bedeutung in der „Menschwerdung“ einnahmen.7 Die Illustrationen der Verletzlichkeit und Fürsorge wurden zumeist mit der gemeinsamen Darstellung von Tieren und Kindern erzeugt (vgl. Abb. 2).Der Forschritt in der Fotografie erfolgte parallel zu einer Entwicklung, die in automatisierten Abläufen extreme Veränderungen für die Tierwelt mit sich brachte und in der modernen Massentierhaltung mündete.8 Sie bescherte den Tieren jedoch gleichzeitig differente Statistenrollen. Diese unterschieden sich in der diskursiven Aufladung jedoch nur peripher von jenen, die zuvor auf Zeichnungen oder Gemälden vorherrschend waren.
Tatsächlich schmückten Tiere nach wie vor jene Bildnisse, die sie zu zentralen Figuren der Zivilisierungstrope machten. Nicht umsonst bebilderten insbesondere im Zweiten Weltkrieg die Tierschutzgesellschaften ihre Materialien mit Fotografien von Tieren und den Streitkräften (Abb. 3). Wenn schon das Tier von den Soldaten als schützenswert gesehen wurde, wie dann erst die menschliche Bevölkerung? Es gab jedoch auch andere populäre Bilder, in denen Fotografien vermeintliche Realität abbilden sollten. Insbesondere die Fotografien von Tieren in ihrer „natürlichen Umgebung“, die von konservatorischen Tierschützerinnen und Tierschützern bemüht wurden, naturalisierten die ästhetischen Vorlieben des Menschen.9 In der Fotografie verlieren sich, wie Ute Eskilden hervorhebt, die Tiere nicht nur wegen der analogen Dichte des Mediums, man lässt sie auch nicht ganz sie selber sein.
Immer sind sie Repräsentanten einer menschlichen „Agency“.10 So bleiben uns zwar die Bilder in Erinnerung, in denen uns Tierbabys mit ihren Blicken anzuflehen scheinen, doch verbirgt sich hinter diesen Bildern kein tierlicher Akteur, sondern ein Platzhalter für kulturell bestimmte Gefühlsimaginationen. Das Kindchenschema suggeriert ein „perfektes Analogon“, das das wahre Ich der Tiere stilllegt bzw. als „funktionales Äquivalent“ menschlicher Projektionen agiert.11 Das Tier „nomadet entsprechend der Intention der Bildproduzenten“12 als Objekt umher und wird je nach dem „historisch spezifischen Wahrnehmungshorizont“13 diskursiv anders gelesen, es wird „codiert, decodiert und neu codiert“.14 Insbesondere das arme, geschundene Tier ermöglicht uns „Denk- und Erlebnismuster von Mitleid und Rettung durchzuspielen“.15 Dieses plakative Bildmaterial wird mitunter durch eine entsprechende semantische Zutat unterstützt. Stets wird jedoch für die Tiere gesprochen, ihr Interesse als das eigene reproduziert (Abb. 4).
Insbesondere auf den Fotografien der Animal Liberation Front (ALF) avancieren Tiere zu einer „quasi natürlichen Verkörperung von politisch erwünschten Einstellungen.“16 Mittelpunkt sind hier die Befreierinnen und Befreier und ihre mythisierten Taten. Es findet eine klare visuelle Hinwendung zur menschlichen Person statt, die zu einer Fetischisierung der maskierten Befreierinnen und Befreier innerhalb der Tierrechtsbewegung führte. Gleichsam ist der Bezugsrahmen „Tier“ hier essentiell, um mögliche Terrorismusanalogien für andere Betrachterinnen und Betrachter zu vermeiden (Abb. 5 und 6).17 Obgleich auf diesen Bildern einzelne Spezies und individuelle Tiere abgebildet sind, sehen wir immer nur „kollektive Bilder“18 von Tieren.
Nicht nur ihre Bezeichnung ist zu einem Generalsingular — das Tier — verkommen, wie Derrida die Verwendung des Tierbegriffes moniert hat.19 Auch ihre Wahrnehmung erfolgt fast ausnahmslos über auswechselbare Symbolfiguren. Unter diesen Symbolfiguren sind bestimmte Spezies austauschbar. Ob nun ein Hamster, ein Kaninchen oder eine Katze auf dem Arm der Befreierinnen und Befreier sitzt, ist für die bildsprachliche Vermittlung vollkommen irrelevant; in den Bildern so genannter Schlachttiere ist das Prinzip der Austauschbarkeit sogar Voraussetzung, nicht nur für die bildliche Abstraktion, sondern auch für ihre Nutzung. Dass Tierschützerinnen und Tierschützer kaum auf das — durchaus existente — Material zurückgreifen, das Tiere eingepfercht in kleinen Käfigen zeigt, hängt zum einen mit der Unsichtbarkeit dieser Kollektive zusammen, zum anderen mit dem aggressiven Unwillen der Bevölkerung, sich von solchen Bildern den Appetit auf das Stück Fleisch verderben zu lassen. Es mangelt hier an der richtigen Strategie, diese unsichtbare Masse sichtbar zu machen.
Dies wird in der Installation Factory≠Farm auf ganz besonders eindrückliche Weise illustriert. Tiere werden zu Punkten auf einer digitalen Schaukarte, die scheinbar ziellos hin und her mäandern. Das Fehlen einzelner Punkte fällt in der Summe des Ganzen nicht mehr auf. Der „Superorganismus“ eines Stalles besteht hier nämlich nicht aus tierlichen Individuen, sondern aus in der allgemeinen Vorstellung schon längst zu totem Fleisch gewordenen Materials. Der Schwarm des Kollektivs funktioniert ohne das aktive Zutun individualisierbarer Akteure, im Gegenteil bedarf er sogar der „Entsubjektivierung“. Die rein künstliche Umgebung der modernen Massentierhaltung weckt zudem keine Erinnerung an Tierbilder, die uns von den Medien seit unserer frühen Kindheit vermittelt wurden: Die Marginalisierung des Tieres funktioniert auch deshalb, weil wir kein erkennbares Gegenüber haben, welches wir aus der Erinnerung erwecken könnten.20 Auch aus diesem Grund wird auf derartiges Bildmaterial von Seiten der Tierschutzbewegung häufig verzichtet. Darüber hinaus wird Masse kulturell oftmals als Bedrohung interpretiert und ist dadurch nicht unbedingt als Empathieträger geeignet.21
Wie schwer sich auch der Tierschutz damit tut, Tiere auf Bildern zu individualisieren und somit zu Akteuren zu machen, zeigt, wie tief eingeschrieben diese Kollektive in unseren Vorstellungen sind und wie sehr auch hier die „anthropologische Maschine“22 das Tier nicht als Summe der Spezies vermenschlicht. In ihren Bedeutungen lässt sie nur eine limitierte Anzahl von Lesarten zu, die dem Tier eben keinen Akteursstatus zuspricht. Eines dieser Deutungsmuster beinhaltet auch in zeitgenössischen Illustrationen die Motive Schicksalsergebenheit und Leiden. Der flehende Blick der Kreatur macht wiederum den Menschen als Adressaten zur wirkmächtigen Entität in der Bild-Betrachter-Konstellation. Die „Ikonografie des Auges“23 richtet sich auf die menschlichen Betrachterinnen und Betrachter, die implizit aufgefordert sind, tätig zu werden. Ein tierlicher Kampf um die eigene Befreiung, die Emanzipation vom Menschen ist hier nicht einmal illustrativ-diskursiv vorgesehen (Abb. 8 und 9).
Zudem wird mit leicht zu anthropomorphisierenden Spezies gearbeitet, solchen mit großen Augen und erkennbaren Gesichtsstrukturen. So bleiben sie ein „umstrittenes Territorium der Zuschreibung menschlicher Hoffnungen“24 sowie anderer menschlicher Gefühlsregungen. Dieser menschliche Blick verhindert eine Wahrnehmung des Tieres an sich. Ein fotografisches Genre, das in den letzten 20 Jahren insbesondere für Furore gesorgt hat, kommt dann auch ganz ohne das Tier aus. Die Plakatserien, die insbesondere von der international wirkenden Tierrechtsgruppe PETA genutzt werden, zeigen zumeist schöne, immer aber leicht bekleidete Exemplare der menschlichen Spezies, die als Werbeträgerinnen und Werbeträger fungieren. Wenn einmal ein Tier mit abgebildet ist, so dient es lediglich als Staffage und Hinweis darauf, dass es sich nicht um pornografisches Material handelt. Dass das Tier dann nicht echt sein muss, wie in Abb. 11 gezeigt, ist die logische Schlussfolgerung. Der „nackte Affe“ schafft es, auch alle tierzentrierten Bedeutungsebenen abzudecken, das Tier verschwindet gänzlich aus dem zentralen Erfahrungshorizont des Bildes.
Wie gezeigt, wandelte sich im 19. und 20. Jahrhundert die Darstellung des Tieres in der Propaganda der Tierschutzbewegung von Projektionsflächen humanitärer Selbstdarstellung zu vermeintlich wirkmächtigen Akteuren. Ein genauerer Blick offenbart jedoch, dass am Anfang des neuen Jahrtausends noch immer dort angeknüpft wird, wo man am Beginn des 19. Jahrhunderts angefangen hatte. Man erschafft Tierschutzillustrationen mit dem Menschen als Mittelpunkt und Blickfang. Nicht die Subjektivität des Tieres steht im Vordergrund seiner Repräsentation. „Agency“ wird dem Tier mitunter sogar explizit abgesprochen. Tiere werden hier einerseits zu ästhetischen Objekten stilisiert, anderseits fungieren sie als Platzhalter intrahumaner Auseinandersetzungen. Dieser Wandel verläuft jedoch nicht linear, sondern ist von der jeweiligen Positionierung des Menschen im „Bewegungskosmos“ geprägt. Tiere werden entweder unsichtbar gemacht, evident etwa in dem von der tiernutzenden Industrie praktizierten Verstecken des leidenden Tieres hinter den Reklamebildern von „glücklichen Kühen und Hühnern“, oder sie sind gefangen in Repräsentationen, die vom Menschen gestaltet sind.25
Indem die in die tierischen Körper eingeschriebenen Konnotationen verbalisiert bzw. dialogisch in Szene gesetzt werden, so wie in Hörner/Antlfingers dreiteiligem Video Hasen—Sich ein Bild machen. Etwas zu Ende denken werden aus diesen tierlichen Pseudo-Metaphern Individuen, die im Sinne des „Becoming Animal“-Ansatzes zu verstehen sind. Durch diese künstlerische Darstellung kann es gelingen, die Tiere weniger farblos erscheinen zu lassen und für das kollektive Gedächtnis sichtbar zu machen. Denn eine solche Kunst möchte zumindest einige Anstöße dazu geben, Tiere darzustellen, ohne sie in ihren Bedeutungen zu fixieren.
Mieke Roscher
1. Ich danke Chris Wollard für die Inspiration und für den Titel dieses Aufsatzes.
2. Harriet Ritvo, On the Animal Turn, in: Daedalus, H. 4 2007, S. 118–122, hier S. 118.
3. Linda Kalof et al. (Hg.), A Cultural History of Animals, Vol. 1–6, Oxford 2007.
4. Ute Eskilden, Kein Recht am Bild—Das fotografierte Tier, in: Ute Eskilden/Hans-Jürgen Lechtreck (Hg.),Nützlich, süß und museal. Das fotografierte Tier, Göttingen 2005, S.11–31, hier S. 26.
5. Dazu Gilles Deleuze/Félix Guattari, A Thousand Plateaus: Capitalism and Schizophrenia. Minneapolis 1987, S. 232 ff.
6. Zu ihrer Geschichte vgl. Mieke Roscher, Ein Königreich für Tiere.Die Geschichte der britischen Tierrechtsbewegung, Marburg 2009.
7. Ron Broglio, Thinking with Surfaces. Animals and Contemporary Art, in: Aaron Gross/Anne Valley (Hg.),Animals and the Human Imagination. A Companion to Animal Studies, New York 2012, S. 238–258, hier S. 239.
8. Eskilden, 2005, S. 20.
9. Steve Baker, Picturing the Beast. Animals, Identity and Representation, Manchester 1993, S. 190.
10. Eskilden, 2005, S. 26.
11. Johannes Bilstein, Unsere Tiere, in: Johannes Bilstein/Mathias Winzen (Hg.), Das Tier in mir. Die animalischen Ebenbilder des Menschen, Köln 2002, S. 13–43, hier S. 19.
12. Eskilden, 2005, S. 30.
13. Thomas Macho, Der Aufstand der Haustiere, in: Regine Haslinger (Hg.), Herausforderung Tier. Von Beuys bis Kabakov, München u.a. 2000, S. 76–99, hier S. 77.
14. Ibid., S. 94.
15. Bilstein, 2002, S. 18.
16. Rainer E. Wiedenmann, Spiegel und Fenster. Zur Semantik der Blicke in Tierfotografien, in: Eskilden/Lechtreck, 2005,
S. 179–192, hier S. 185.
17. Mieke Roscher, Gesichter der Befreiung—eine bildgeschichtliche Analyse der visuellen Repräsentation der Tierrechtsbewegung, in: Chimaira – Arbeitskreis für Human-Animal Studies. Über die gesellschaftliche Natur von Mensch-Tier-Verhältnissen, Bielefeld 2011, S. 335–376.
18. Mathias Winzen, Das Tier als Bild, Vom Nutzen der Tiere für die Kunst, in: Johannes Bilstein/Mathias Winzen, 2002,
S. 175–191, hier S. 178.
19. Siehe dazu: Jacques Derrida, The Animal That Therefore I am, New York 2008, S. 23.
20. Vgl. dazu vor allem John Berger, Why look at Animals?, in: ders., About Looking, New York 1980.
21. Elias Canetti, Masse und Macht, Hildesheim 1992.
22. Giorgio Agamben, Das Offene, Der Mensch und das Tier, Frankfurt a. M. 2003, S. 46.
23. Wiedenmann, 2005, S. 187.
24. Amy Nelson, Die abwesende Freundin: Laikas kulturelles Nachleben, in: Jessica Ullrich et al., Ich, das Tier, Tiere als Persönlichkeiten in der Kulturgeschichte, Berlin 2008, S. 215–214, hier S. 217.
25. Kari Weil, Thinking Animals, Why Animal Studies Now?, New York 2012, S. 25.[/nor_columns][/nor_column_wrap]