Interview – Hörner/Antlfinger und CMUK
Ute Hörner (geb. 1964) und Mathias Antlfinger (geb. 1960) arbeiten bereits seit 1990 zusammen, seit 2009 sind sie Professoren an der Kunsthochschule für Medien Köln. Ihre Installationen, Videos und Skulpturen handeln von Beziehungen zwischen Menschen, Tieren und Maschinen und der Utopie eines gleichberechtigten Umgangs zwischen den Akteuren. Ihre Arbeiten wurden mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Förderpreis “ars viva” des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft (2001), vom Edith-Russ-Haus für Medienkunst Oldenburg (2010) und der Ars Electronica (Linz 2012). Seit einigen Jahren arbeiten sie im Interspezies-Kollektiv CMUK mit den Graupapageien Clara und Karl. Stefanie Klingemann traf das Kollektiv zum Gespräch in der WG und an der Kunsthochschule für Medien Köln.
SK: Auf dem Cover von MOFF werden die Künstlernamen aufgelistet, da wird nun zusätzlich zu euren Namen auch das Akronym CMUK stehen, das sich aus den Namen eurer Graupapageien Clara und Karl und euren Vornamen zusammensetzt. CMUK ist das erste Interspezies-Kollektiv, welches ich für MOFF treffe.
UH: Das ist jetzt ganz groß im Kommen, bestimmt werden bald viele Interspezies-Teams zusammenarbeiten. Hoffe ich jedenfalls (lachen). Lisa Jevbratt, eine schwedisch-amerikanische Künstlerin, gibt an der University of California ein Grundlagenseminar für Interspecies Collaboration. Und wir haben auch schon darüber nachgedacht, ob wir das nicht an der KHM einführen könnten, das wäre eine zukunftsweisende Sache.
SK: Würdet ihr die beiden Papageien mit ins Seminar nehmen?
MA: Wir haben schon einmal ein Seminar mit ihnen gemacht, einen Workshop über Tierkommunikation. Dabei geht es um telepathische Kommunikation mit Tieren, eine Technik, die aus der schamanistischen Praxis kommt. Für die Kursleiterin, eine erfahrene Tierkommunikatorin, war das eine sehr konkrete Praxis. Für uns und die Studierenden ging es vielleicht eher darum herauszufinden wie das funktioniert, aus Interesse und Neugierde heraus. Clara und Karl waren als Berater_innen und Adressaten dabei. In einer Meditationsübung ging es darum sich in die beiden Papageien einzufühlen, und die Studenten haben im Anschluss berichtet, was sie dabei wahrgenommen haben. Das Feedback war verblüffend.
SK: Also eine Tiermeditation?
UH: Ja. Es beginnt mit einer Entspannungsübung und darauf folgt eine Art “Guided Imagination”, in der man versucht sich in ein tierliches Individuum hineinzuversetzen. Das kann eine konkretes Tier sein, es kann aber auch ein unbekanntes Tier sein, z.B. ein wildlebendes Tier, oder eines, das gar nicht mehr lebt. Ich hatte beispielsweise einen sehr intensiven Kontakt mit einer Urzeit-Echse (lacht). Bei der Interspezies-Meditation der Studierenden mit den Papageien kam u.a. heraus, dass Clara gerne öfter mit ins Seminar kommen würde, weil sie gerne wissen möchte, was wir machen und weil sie der Meinung ist, dass sie in der Lage sei sehr viel mehr zu geben, wenn sie mehr Leute treffen würde. Diese Aussage hat mich ziemlich beschäftigt.
SK: Wie hat sich eigentlich aus dem gemeinsamen Miteinander,der Lebensgemeinschaft, die ihr mit Clara und Karl führt, das gemeinsame Arbeiten und dann auch ein Werkverständnis entwickelt?
MA: Am Anfang war das eher eine Reflektion über die Tiere. Woher kam dieser Wunsch mit ihnen zusammen zuleben? Und wie hat sich unser Leben durch sie verändert? – “Bist du noch glücklich mit den Tieren zusammen zu leben?” war die Einstiegsfrage in “L’après-midi d’un avatar”, eine Arbeit, die wir 2000 realisiert haben. Die Antwort war: “Man gewöhnt sich irgendwie daran…” – Es gab jede Menge Probleme. Papageien können ganz schön Terror machen. Es war sehr viel schwieriger mit ihnen zusammenzuleben, als mit Computern, was wir bis dahin praktiziert hatten.
Ausgehend von der Reflektion über die Tiere haben wir uns schon sehr bald für ihre Agency – ihre Handlungs- und Wirkmacht – in unserer geteilten Umwelt interessiert. „Contact Call“ von 2006 war die erste Arbeit, in der die Papageien selbst zu “Wort” kamen, aber nicht über menschliche Sprache, sondern über elektronische Sounds, weil sie sehr gerne – du hast es ja eben gehört – Klingeltöne imitieren. Die Türklingel, das Faxgerät, Handytöne, also all diese “Aufmerksamkeits-Sounds”. Die Sounds ihrer “technischen Rivalen” zu verwenden, das hatte natürlich Wirkmacht.
SK: Das ist eine sehr interessante Strategie, die sich die beiden zu eigen gemacht haben, ich habe es gehört, das ist ein höchst technisch anmutender Ton, klingt genau wie ein Handy.
MA: Es ist quasi ununterscheidbar. Ich warte inzwischen immer, bis es fünf oder sechsmal geklingelt hat, und wenn der Rhythmus nicht ganz exakt ist, weiß ich, dass es die Vögel sind. Aber manchmal kriegen sie mich doch noch dran.
SK: Gab es eigentlich ein Schlüsselereignis oder eine Initialbeobachtung, mit der eure Zusammenarbeit eindeutig begann?
UH: Es fing mit einer Alltagsbeobachtung an. Manchmal, wenn wir am Samstag morgen die Wochenzeitung lesen, bearbeiten die Papageien in aller Ausführlichkeit das Magazin. Das passiert nicht automatisch, sondern es muss so eine gewisse Stimmung im Raum sein, entspannt und aufmerksam zugleich. Mathias und ich lesen uns gegenseitig aus der Zeitung vor, und so ganz nebenbei, zwischen der Marmelade, den Teetassen und allem, was so auf dem Frühstückstisch steht, fangen sie mit der Arbeit an. Wir fanden es schon immer anregend, wie diese Fetzen so auf dem Tisch verstreut liegen, auch ästhetisch, was da für Schichten entstehen, wie Bilder und Texte neue Beziehungen eingehen. Und eines Tages haben wir gesagt: komm, lass uns das doch mal fotografieren. So ist unsere erste gemeinsame Arbeit entstanden, die Serie weekly, die wir seit 2014 weiterentwickeln. Es entsteht nicht jede Woche eines, aber fast.
SK: Registrieren Clara und Karl, dass ihr mit ihren Objekten weiterarbeitet und diese Arbeiten dann veröffentlicht oder präsentiert werden?
UH: Wir haben sie schon öfter mit zur Ausstellungseröffnung genommen, und ich denke schon, dass sie ihre Arbeit wiedererkennen. Ob ihnen der Kunstkontext etwas sagt, weiß ich nicht. Ich denke eher nicht, aber sie merken schon, dass wir genau hinschauen, was sie machen und dass wir uns dafür interessieren.
SK: Wann ist denn eine Arbeit fertig?
MA: Das ist nicht so einfach. Manchmal bleiben angefangene Objekte einfach liegen, weil die beiden das Interesse an ihnen verloren haben, und Objekte, die eigentlich schon sehr schön waren, werden total zerfräst, weil wir den richtigen Moment verpasst haben. Manchmal sage ich auch einfach: jetzt ist es gut, lass es so! Das ist ein Eingriff von uns, wir entscheiden in diesem Fall, dass ein Stück fertig ist. Aber das kommt auch bei uns als Künstlerpaar Hörner/Antlfinger manchmal vor (lacht).
SK: Ihr habt im Atelier einen gemeinsamen Arbeitsplatz eingerichtet, einen Tisch, an dem jede Spezies ihren Arbeitsbereich hat und es im Gegenüber die Möglichkeit gibt sich zu beobachten und zu begegnen. Wie kann ich mir das Zusammenarbeiten daran vorstellen?
UH: Der Tisch ist eigentlich ein Überbleibsel von einer alten Installation, zwei Sockel, die wir aneinander gestellt haben. Auf der Seite von Clara und Karl befindet sich eine Vertiefung, die mit Holzspänen gefüllt ist. Hier arbeiten die beiden bevorzugt an den Korkobjekten. Unsere Seite hat eine ebene Oberfläche, auf der wir zeichnen. Die Werkbank steht im Zentrum des Ateliers, von wo aus man eine gute Übersicht über den gesamten Raum hat. Und natürlich gibt es auch die Möglichkeit, um nicht zu sagen das Verlangen, auf die andere Seite der Werkbank zu springen. Es ist ja immer interessant, was die anderen machen.
SK: Es gibt Arbeiten von euch, in denen die Rollenverhältnisse Mensch/Tier aufgebrochen werden. Zum Beipspiel die Arbeit „Hasen – Sich ein Bild machen. Etwas zu Ende denken“ zeigt euch als Handpuppenspieler ganz in schwarz gekleidet in einem Auto sitzend. Jeder hat eine große Hasenfigur auf dem Schoß, welche als Protagonist im Vordergrund steht. Eure Dialoge konstituieren sich aus vorangegangenen Beobachtungen, Recherchen und Erfahrungen, die ihr zum Thema Nahrungsmittelindustrie unternommen habt. Der eine Hase spricht von dem Beobachten der Tiere in der Maststallanlage, es geht um Ängste, darum, kein Fleisch mehr zu essen. Dann sprechen die Hasen über die Idee, einen Schnitzeldrucker zu bauen. Die Simulation von Fleisch aus dem Labor bzw. der Maschine. Es kommen noch ganz andere Fragen aus dem alltäglichen Leben auf. Es geht um Entscheidungen. Kaufe ich mein Sofa beim Möbeldiscounter, und wenn ja, nehme ich das Imitationsleder-Sofa oder das Echte. Was ist eigentlich das “Echte”? Das wäre auch die Frage in Bezug auf das simulierte Schnitzel: bedarf es überhaupt noch dieser Nennung oder können wir uns nicht was gänzlich Neues ausdenken? Und was kann dieses Neue sein? Diese kurzen Dialoge fand ich sehr stark.
MA: Diese Dialoge sind unsere Arbeitsmethode. Wir verwenden sie an solchen Klippen, an kritischen Punkten, wo wir einen Schritt zurücktreten müssen und etwas Neues anfängt, oder wenn wir vor einem Problem stehen, dass wir nicht in gewohnter Weise lösen können. Es ist eine Art Prozess, den wir durchlaufen – wir fangen an uns zu unterhalten und zeichnen es auf. Und diese Aufzeichnung ist dann die Grundlage eines Dialogs, der dann unter Umständen ganz hölzern klingt, fast wie ein Lehrstück. In der Regel arbeiten wir mit Sprechern, aber bei den „Hasen“ haben wir entschieden: das sprechen wir selbst, und das hat so seine Peinlichkeiten. Aber gerade dieses Moment der Peinlichkeit finde ich gut. Es ist nicht perfekt. Wir sind keine Schauspieler.
SK: Als Schauspieler oder Model lernt man einer Rolle zu entsprechen. Und genau das wollt ihr nicht.
MA: Da geht es schon darum etwas zu verstehen, auch über uns selbst. Wir haben diese Methode immer wieder verwendet. In “L’après-midi d’un avatar” (2000) sind es zwei Avatare, die darüber sprechen, was das mit uns gemacht hat, diese Arbeit mit dem Computer, in den letzten zehn Jahren. Wie hat das unsere künstlerische Arbeit verändert? Und in “Monokroms EntwederOder” (1996), eine Arbeit, die noch an der KHM entstanden ist, sind es vier Puppencharaktere, die darüber diskutieren, was Kunst in der Gesellschaft leisten kann, bzw. für wen oder was Künstler eigentlich arbeiten.
SK: Diese Rollen. Sind das menschliche Figuren?
MA: Ja, aber es ist auch schon ein Hund dabei.
SK: Ein Hund, Mister Spock, ein Mädchen und ein Arbeiter, nicht?
UH: Misses Spock, die wir ja nie kennengelernt haben, zumindest damals kannte man sie noch nicht.
MA: Wir haben uns schon fast borderlinemäßig in mehrere Charaktere aufgeteilt. Zwei haben einfach nicht gereicht, um die verschiedenen Standpunkte klarzumachen, mit denen wir uns herumgeschlagen haben (lachen).
SK: Eure Themen sind die Verhältnisse zwischen Mensch, Tier, Technik oder Technisierung und Digitalisierung. Je nach Arbeit und Fokus und aktuellem Thema oder Anlass spannt sich eine Arbeit daraus. Bei dir, Ute, weiß ich, dass dein Vater Metzger war. Du hast wahrscheinlich aus Kindheitstagen Erinnerungen und wusstest schon früh, woher das Fleisch kommt.
UH: Ja, ich wusste das. Ich bin auf dem Land aufgewachsen. Wir hatten Schafe, Hühner und Hasen. Das waren zwar „Nutztiere“, aber als Kind habe ich auch mit ihnen gespielt.
SK: Hatten die Tiere auch Namen oder hast du ihnen Namen gegeben?
UH: Schon, aber das war nicht so ernsthaft. Die Hasen z.B. hatten nur manchmal Namen. Die Ziege hatte einen, aber meistens den gleichen wie ihre Vorgängerin und Hühner hatten gar keinen. Wir waren zwei Schwestern und mein Vater hat uns beigebracht, wie man schlachtet. Wenn er einen Hasen ausgenommen hat, haben wir uns die Organe angeschaut. Manchmal hat er dann die Lunge wie einen Ballon für uns aufgeblasen. Das sah fantastisch aus, hellrosa und glänzend. Ich habe als Kind ganz elementare visuelle Erfahrungen gemacht und erinnere mich sehr genau an das Schlachten.
Erst später habe ich durch die Beschäftigung mit den Human-Animal Studies verstanden, was es eigentlich für eine Bedeutung hat, dass Kinder in einem bestimmten Alter lernen zwischen „Haustieren“ und „Nutztieren“ zu unterschieden, zwischen Tieren, die geliebt und Tieren, die getötet werden; Kinder sind ja in der Regel erst einmal allen Tieren gegenüber empathisch. Für die Soziologen in den Human-Animal Studies geht es dabei um die Einübung von Fähigkeiten, die später auf den innerhumanen Bereich übertragen werden können – dass man lernt zu unterscheiden: Wer gehört zu mir? und Wer sind “die Anderen”? und wie man seine Empathie ggf. ausschaltet, wenn es darum geht diese Anderen auszubeuten.
SK: Ihr esst heute kein Fleisch oder gar keine tierischen Produkte mehr. Du, Ute, hast deine Rolle oder auch dein Verhältnis zum Tier im Allgemeinen im Vergleich zu deiner Kindheit stark verändert. Clara und Karl, eure Papageien, sind keine “Nutztiere”, ihr bildet vielmehr eine Lebensgemeinschaft und seid auch Kollegen. Mathias, gibt es Erfahrungen oder Erlebnisse zum Thema Mensch und Tier, die sich für dich auf dein Leben und Arbeiten ausgewirkt haben?
MA: Das hat mit unseren Gefährten-Tieren zu tun. Für mich waren anfangs, wie wahrscheinlich für die meisten Menschen, Tiere einfach so da – Tiere zum Essen, Tiere zum Spielen. Ich habe sie aber nie als Individuen mit eigenem Wollen und Erleben ernst genommen. Durch das Zusammenleben mit den Papageien ist das aufgebrochen – das sind zwar nur 500 Gramm schwere Wesen, aber genau wie ich wollen sie etwas von der Welt. Sie haben ein inneres Erleben. Vielleicht haben sie nicht so ausgeprägte kognitive Fähigkeiten wie ich, aber im Prinzip ist alles da. Ich glaube, dass Furcht und Angst, das ganze emotionale Erleben in der Welt der nicht-menschlichen Tiere genauso existiert wie in unserer. Liebe, Zuneigung, Hass, all diese Dinge. Das habe ich verstanden, sobald ich genauer hingeschaut habe.
Und irgendwann habe ich gedacht: wenn ich die Interessen unserer „Haustiere“ ernst nehme, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass auch ein Schwein Interessen hat. Ich kann nicht gleichzeitig annehmen, dass ein Schwein ein Individuum mit eigenen Interessen ist, das an seinem Leben hängt und trotzdem sein Fleisch essen wollen. Das ist ein Widerspruch. Also mache ich das nicht mehr, das ist relativ einfach.
Letztendlich kommt es darauf an möglichst wenig Schaden anzurichten. Wir müssen uns von etwas ernähren und auch Pflanzen sind Lebewesen, aber vielleicht können wir darüber nachdenken, wie wir das möglichst schonend tun.
SK: Welche Rolle spielt das Tier im Zusammenleben mit dem Menschen? Ist das domestizierte Tier auch das Indiz einer totalen Künstlichkeit, vielleicht auch als Ausdruck und Sehnsucht nach Verbindung zu etwas Natürlichem zu verstehen? Was bedeutet das Zusammenleben von Mensch und Tier für euch?
UH: Ich denke diese Dichotomie – der Mensch, das Tier – gibt es nicht. Das ist eine Konstruktion. Die Rede von “dem Tier” subsumiert ja alles, vom Fadenwurm bis zum Schwein, vom Marienkäfer bis zum Schimpansen. Dabei ist ein Schwein einem Menschen sehr viel näher als einem Fadenwurm. In den Human-Animal Studies spricht man deshalb von “nicht-menschlichen” Tieren. Aber was uns durch das Zusammenleben mit den Vögeln klar geworden ist, und was im Grunde jeder weiß, der wirklich mit einem Tier zusammenlebt, ist, dass wir es mit Individuen zu tun haben, mit Personen. Clara und Karl haben bspw. unterschiedliche “Handschriften”. Clara arbeitet großzügig mit den Krallen, wobei große Stücke weggerissen werden. Karl arbeitet mit dem Schnabel als Werkzeug, dabei entstehen sehr feinteilige Strukturen.
Aber um auf deine Frage nach dem Zusammenleben zurückzukommen – in den 90er Jahren waren wir exzessive Computerarbeiter, wie Mathias schon sagte – wir haben mit ihnen zusammengelebt. Ich glaube dass viele Leute, die mit Computern zusammenleben, dieses Gefühl kennen: eine Art Defizit. Der Computer ist schon ein Ansprechpartner, er gibt ja permanent Feedback und man kann sehr, sehr viel Zeit mit ihm verbringen, aber etwas fehlt. Trotzdem hat uns die Idee von Computern als “sentient beings”, von künstlichen Intelligenzen, wie sie in Science-Fiction Erzählungen vorkommen, immer fasziniert. Und wenn man sich generell für nicht-menschliche Intelligenz interessiert, dann gehören Tiere selbstverständlich dazu. Tiere, Menschen, Maschinen ist eine Trias, mit der wir uns schon sehr lange beschäftigen und in der wir jetzt leben. Aber anders als die Maschinen – zumindest die, die wir heute kennen – leisten die Tiere Widerstand, sie rebellieren, und das ist auch gut so.
SK: Im Kontext der Technisierung muss ich an eure Arbeit denken, in der es um meditierende Computer geht.
UH: Die Arbeit heißt „Meditation for Avatars“ (2006) und ist ein Netzwerk von Computern, die sich zusammenschließen, um auf einem Server zu meditieren. Dieser „Blessing Server“ ist ein Casemod aus Messing. Auf jedem Rechner, der mit ihm verbunden ist, gibt es ein Bild, eine Repräsentation dieses Netzwerks und das ist ein Avalokiteshvara, ein Bodhisattva des universellen Mitgefühls, der so viele Arme hat wie Rechner, die gerade auf dem Server eingeloggt sind.
SK: Also könnte ich mich da auch einloggen?
UH: Jetzt nicht mehr. Die Festplatte ist 2012 gecrashed. Wir haben ihn seitdem nicht mehr hochgefahren.
SK: Ich empfinde diese Arbeit als hochaktuell auch durch diese Achtsamkeitsökonomie, die momentan ein großes Thema und mit der Frage nach der Technisierung, der Digitalisierung unserer Lebenswelten verbunden ist. Wenn man möchte, kann man sich über Apps und Clouds komplett in ein digitales Kontrollzentrum begeben , so nach dem Motto: „Ich schalte vom Büro aus schonmal die Heizung an und der Kühlschrank weiss, wann die Butter aufgebraucht ist und bestellt direkt eine Neue.” Ihr gebt dem Computer, der auch synonym steht für diese Digitalisierung, die Möglichkeit in den Meditationsmodus zu gehen, einfach mal „abzuschalten“.
MA: Wir hatten schon ein höheres Ziel (lacht). Wir dachten, irgendwann könnte ein System wie das Internet mit Hilfe von Meditation, die ja eine Technik zur Verfeinerung des Bewusstseins ist, ein eigenes Bewusstsein entwickeln.
UH: Tatsächlich knüpft die Arbeit an buddhistische Praktiken an. Im Namgyal Monastery in New York, dem Sitz des Dalai Lama in Nordamerika, singen die Mönche regelmäßig Mantren ins Internet. Wie sie das genau machen, weiß ich nicht, aber sie sagen, für sie ist es irrelevant, ob sie im „realen“ oder „virtuellen“ Raum ihre Mantren singen. Das Netz ist für sie genauso eine Konstruktion wie die „reale Welt”. Und trotzdem arbeiten sie daran, dass sich die positiven Schwingungen darin verstärken.
MA: Es gibt ja auch diese Gebetsmühlen, die man im vorbeigehen dreht und damit auch die Mantren, die darauf geschrieben stehen. Das kann man auch mit einer Festplatte machen. Die Hard Disc, die sich darin dreht, hat dem Dalai Lama zufolge die gleiche Wirkung. Aber im Nachhinein – die Arbeit läuft ja jetzt nicht mehr – würde ich versuchen, das abstrakter zu fassen und den religiösen Kontext herauszunehmen. Viele haben die Arbeit falsch verstanden, sie wurde ironisch gelesen, so als würden wir uns über etwas lustig machen, was aber nicht unsere Absicht war. Und viele indische User wollten wissen, was „Meditation for Avatars“ für ihr Karma tun kann. So konnte man es natürlich auch verstehen.
UH: Aber eigentlich ging es uns darum die Computer zu befreien (lachen).