Ein Nachmittag zu zweit oder eine Begegnung der etwas anderen Art
Die Möglichkeiten und Grenzen der Kommunikation im Netz, der spezifische Umgang von KünstlerInnen und WissenschaftlerInnen mit ihrem Computer, der Alltag und Arbeit wesentlich bestimmt, oder medial vermittelte Visionen eines möglichen Selbst in der Zukunft sind nur einige Themenfelder, mit denen sich das Künstlerpaar Ute Hörner und Mathias Antlfinger beschäftigt. Die Prozesse und Ergebnisse können dabei so unterschiedliche Formate haben wie Interviews, Skulpturen, Projekte im öffentlichen Raum, 3-D Echtzeit Animationen oder interaktive Computerinstallationen. Die in der Ausstellung präsentierten Arbeiten „L’après-midi d’un avatar“ (2001) und „Le nouveau OMIZA“ (2007) sind weitere Investigationen der Medienkünstler zum komplexen Verhältnis von Mensch und Maschine im Computerzeitalter. „L’après-midi d’un avatar“ (2001) zeigt Szenen eines Spaziergangs zweier menschlicher Avatare. Zwischen denen als Alter Egos der Künstler auftretenden virtuellen Charakteren entfaltet sich dabei eine längere philosophische Unterhaltung. Inspiriert ist das Gespräch von Momenten aus der persönlichen und kollektiven Geschichte, die sich als wiederkehrende Sujets und Verweise auch in anderen Arbeiten von Hörner / Antlfinger finden lassen. (1)
Neben dem Verhältnis zu ihren Papageien, der sozialen und emotionalen Beziehungs(un-)fähigkeit zu Tieren, Menschen oder Computern diskutieren die Avatare verschiedene Gesellschaftsentwürfe. Individualistische Formen oder kollektive Systeme als Visionen friedlicher Koexistenz oder als Bedrohungsszenarien werden anhand konkreter Referenzen aus der Kulturgeschichte, der realen und virtuellen Welt gegeneinander abgewogen. Zur Sprache kommen dabei das Borg-Kollektiv aus der Science-Fiction-Serie „Star Trek“, Chat Communities im Netz, das Experiment des „real existierenden“ Sozialismus in der DDR oder die spirituelle Praxis eines indischen Yogi.
Die Protagonisten von „L’après-midi d’un avatar“ wurden von Hörner/Antlfinger in der Skriptsprache VRML konstruiert, die als 3D-Online-Infrastruktur der virtuellen Welt von „Cyberworld“ zu Grunde lag. „Cyberworld“ war ein früher Vorläufer von „Second Life“, der inzwischen von über elf Millionen Nutzern gestalteten Parallelwelt im Netz, in der künstliche Personen als Stellvertreter realer Subjekte in Echtzeit interagieren, spielen, Handel betreiben und miteinander kommunizieren. (2) Dass mit „L’après-midi d’un avatar“ Wirklichkeit nicht simuliert wird, sondern diese lediglich als Bezugssystem für neue Räume der Wahrnehmung und der eigenen künstlerischen Praxis dient, wird durch die ästhetische Reduktion der Umgebung deutlich. Die karge nächtliche Mond- und Hügellandschaft erinnert durchaus an das Bild „Mann und Frau in Betrachtung des Mondes“ des romantischen Malers Caspar David Friedrich, als düstere Science-Fiction-Umgebung an Andrei Tarkowskijs „Solaris“.
Vor allem aber dient sie als Hintergrundfolie für die zahlreichen Bild- und Assoziationsketten, die im Gespräch der Avatare miteinander verknüpft werden. Als Loop aufgebaut, folgen Spaziergang und Gespräch keiner zeitlich strukturierten Dramaturgie. Die von Hörner/Antlfinger für die Sprachsynthese verwendete Text To Speech Engine sorgt zwar für einen leicht französischen Akzent der Personen, unveränderte Intonation und ausdrucksloses Lachen aber verfremden den Sprachduktus der beiden erheblich. In „L’après-midi d’un avatar“ werden die Avatare zu Repräsentanten einer kollektiven Gesellschaftsform im Netz. Gleichzeitig sind sie Ausdruck der individuellen Persönlichkeit der Künstler, die als Paar gemeinsame Visionen und die Idee des Miteinanders täglich umsetzen.
Das Zwiegespräch begreifen Hörner / Antlfinger als kulturelle Tätigkeit, das sich hier als künstlerische Methode und Form kristallisiert. Während des Gehens und Sprechens entfalten sich in geradezu sokratischer Weise die Gedanken der beiden Avatare, die ihre Haltung zu Wahrnehmung, Wirklichkeit und Fiktion artikulieren. Besonders dann, wenn die Avatare über Formen des Zusammenlebens natürlicher und synthetischer Wesen sprechen, überblenden Hörner / Antlfinger künstliche und menschliche Intelligenz, virtuellen mit realem Raum. (3)
Die Gestaltwerdung der synthetischen Fiktion wird in der zweiten Arbeit von Hörner/Antlfinger aufgegriffen. Der Videofilm „Le nouveau OMIZA“ (2007) basiert auf kurzen Clips vom modernsten menschenähnlichen Roboter, entwickelt von der Firma Honda. Das Forschungsfilmen entnommene Material zeigt den humanoiden Roboter Asimo, der zukünftig in Wesen und Wirkung dem Menschen stark ähneln soll. Komplexe menschliche Bewegungsabläufe und soziales Verhalten beherrscht er bereits: Er geht mit einer jungen Frau Hand in Hand spazieren, wartet auf sie, wenn sie zurück bleibt, oder lenkt korrekt einen Wagen in vorgegebenen Bahnen. Und, obwohl Asimo während dieser Demonstration seiner Fertigkeiten selbst noch etwas verunsichert wirkt, so besteht das
Ziel seiner Designer, ihn in verbindliche soziale Interaktion mit Menschen zu stellen, sie teilweise zu ersetzen, d.h. ihm eine privilegierte Stellvertreterfunktion zukommen zu lassen. In „Le nouveau OMIZA“ sind erste Versuche der Kontaktaufnahme zwischen einem menschlichen und nichtmenschlichen Wesen auszumachen, eine neue Kommunikationsform erprobend. Die Annäherung von Frau und Roboter wird auch durch den Ton wider gespiegelt: Erik Saties Klavierstück „Gymnopédie Nr. 1“ wird einmal interpretiert von einem Pianisten und einmal von einer Software für Komponisten.
Beide Arbeiten verbindet die Repräsentation zeitgenössischer menschlicher Darstellungen, wie sie in der Kunst, den Medien und der wissenschaftlichen Forschung vorzufinden ist. Avatar und humanoider Roboter stehen für die Sehnsucht nach Idealwesen, die von Menschen für ein dialogisches Miteinander in der virtuellen und realen Welt geschaffen werden. Während in der Romantik die Natur als Idealbild, vor allem als Spiegel menschlicher Empfindungen, gesehen wurde, findet sich bei Hörner/Antlfinger die Projektion auf ein Idealwesen, das künstlich und ohne Leidenschaften ist. Dieses Maschinen-Wesen ist unberührt von den Ambivalenzen und emotionalen Anfälligkeiten menschlichen Daseins. Es existiert in einer Welt, die sich menschlichen Maßstäben entzieht, seltsam nüchtern erscheint und dennoch voller Wunder ist.
Angelika Richter
(1) So kann „L’après-midi d’un avatar“ u.a. als Ausgangspunkt für die 2006 entstandene Arbeit „Non-Chat Chat – Meditation for Avatars“ gesehen werden, in der Hörner / Antlfinger das gemeinsame Meditieren im virtuellen Raum sowie die positiven Effekte der Meditation auf eine Gemeinschaft hin erproben.
(2) Das erklärte Ziel der Entwickler von „Cyberworld“ und „Second Life“ ist es, eine kollektive Parallelwelt wie das „Metaversum“ zu schaffen, das in dem 1992 erschienenen Science-Fiction Roman „Snow Crash“ von Neil Stephenson beschrieben wird.
(3) Mit dem Titel der Arbeit (Nachmittag eines Avatars) wird eine Anleihe bei Mallarmés Gedicht „L‘Après-midi d‘un faune“ bzw. Debussys „Prélude á l’après-midi d‘un faune“ gemacht. Das Bild des wilden von erotischem Verlangen getriebenen Fauns, wird von Hörner / Antlfinger durch das einer digitalen, von gesellschaftlichen Idealvorstellungen verfolgten Person ersetzt.